Erstes Alexianer Ethik-Symposium am 16. Mai 2023

Gibt es ein "Recht" auf Krankheit? Wir haben Vertreter aus Medizin, Ethik und Recht eingeladen, um über Ansprüche und Grenzen der Autonomie zu sprechen.

Die Frage, ob psychisch kranke Menschen gegen ihren Willen behandelt werden dürfen, stand im Mittelpunkt des ersten Ethik-Symposiums der Alexianer in Berlin. Die Diskussion um eine Freiheit zur Krankheit treibt nicht nur die Psychiatrie um, wie die gut besuchte hybride Veranstaltung eindrucksvoll bewies. Unter dem Titel „Recht auf Krankheit? Ansprüche und Grenzen der Autonomie“ diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Recht, Psychiatrie und Theologie sowie Betroffene die Frage, wieweit das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen geht – und ab wann es einen Anspruch auf Zwangs-Behandlung gibt.

Aus vier Perspektiven diskutiert

Dr. Klaus Gauger, 1994 selbst an paranoider Schizophrenie erkrankt und 2014 geheilt, gab zu Beginn einen beeindruckend offenen Einblick in seine 20-jährige Leidensgeschichte: „Meine Entscheidung krank zu bleiben, war nicht freigewählt. Ich war gefangen im Wahn und stand bald alleine da, weil sich meine Freunde von mir abwandten. Erst nach meiner Zwangsbehandlung in Spanien war ich frei“, sagte Gauger, der ein Buch über seine Erkrankung geschrieben hat.

Prof. Dr. Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité in Berlin, betonte in seinem Vortrag das „Recht auf Hilfe“. Die psychiatrischen Kliniken seien heute konzeptionell darauf ausgerichtet, Zwang zu vermeiden. Um bei Eigen- und Fremdgefährdung oder auch um Patienten zu unterstützen, wieder in die Selbstbestimmung zurück zu kommen, könnten Landesgesetze sowie die Einrichtung einer Betreuung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch eingesetzt werden.

Prof. Dr. Reinhard Gaier wies den Vorwurf, die Justiz tue zu wenig, zurück. Der Verfassungsrichter a.D. schloss seinen Vortrag mit den Worten: „Wer heute der Hilfe bedarf, den lässt unser Rechtssystem nicht im Stich.“ Er verwies auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2018, das die Möglichkeiten zur Zwangsbehandlung erweiterte. Demnach sei heute keine Konstellation denkbar, bei der nicht beim Vorliegen triftiger Gründe eine Zwangsbehandlung zum Wohle der Patienten durchgeführt werden könne.

Die ethische Perspektive brachte der Moraltheologe Prof. Dr. Franz-Josef Bormann ins Spiel, der zunächst aufzeigte, wie sich in der Bundesrepublik nach 1945 ein libertärer Autonomiebegriff entwickelte, der die freie Selbstbestimmung des Menschen über alles stellte. Er plädierte in seinem Vortrag dafür, Maßnahmen gegen den frei verantwortlichen Willen unter besonderen Umständen zu ermöglichen. „Es gibt Situationen, in denen direktive Maßnahmen berechtigt sind“, so Bormann.

Gut besucht!

Rund 150 Zuschauer vor Ort im Tagungshotel Aquino in Berlin sowie 120 Zuschauer im Live-Stream nutzten die Möglichkeit sich an der Diskussion zu beteiligen. 

Live-Mitschnitt des Symposiums

Veranstaltung verpasst? Hier können Sie sich die Beiträge und Diskussion in voller Länge ansehen. 

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